Donnerstag, 5. Juli 2018

Heinrich Gartentor und sein Bruder waren im ZelgAtelier

Ich habe einen riesigen Umfang und wenn es regnet, sehe ich aus wie ein Zelt...


Klick = Vergrösserung


In etwa so, beginnt Heinrich Gartentor seine Lesung im ZelgAtelier am 14. Juni 2018 in Bern. Er erzählt auf Berndeutsch und nach und nach erfahren wir, wie es dazu gekommen ist, ein Buch zu schreiben das kein Ende hat und hauptsächlich von seinem Bruder handelt - dem Peter, der an MS erkrankt ist, in seinem vollautomatischen Rollstuhl, ausgestattet mit aller erdenklicher Elektronik, festgebunden ist.


Jedoch dies ist nur ein Detail. Denn uns Zuhörern ist zwar bewusst, dass Peter nicht mehr selber gehen kann, nicht selber essen und trinken kann und dass dies schlimm ist, doch was dies heisst, weiss bis dahin keiner von uns. Nämlich, dass Peter in seinem eigenen Körper gefangen ist und sozusagen gefoltert wird, von physischen und auch von psychischen Schmerzen, logisch. Dass man 24 Stunden am Tag auf fremde Hilfe angewiesen ist, auf Menschen, die nur in Fragmenten Deutsch verstehen oder gar nicht, weil man sich deutschsprechende BetreuerInnen gar nicht leisten kann. Und selbst Martin, sein Bruder, alias Heinrich Gartentor, der ihn Peter, sprachlich versteht, begreift nicht wo und wie er gehalten werden muss, um z.B. seine linke Gesässseite richtig zu entlasten. Und wenn Peter Glück hat, findet es Martin nach 20 Minuten heraus. „Jetzt erklär das mal einer Frau, die nur polnisch versteht. Drum ist es so schwierig, spätestens nach zwei Monaten brauche ich eine neue Betreuung, weil wir uns gegenseitig einfach nicht mehr aushalten.“




Für die wichtigsten Vorgänge haben Peter und Martin eine Zahlenskala entwickelt und diese dann auf die jeweilige Fremdsprache übersetzen lassen. A 9 bedeutet z. B., dass mir jemand die Finger, die es mir immer wieder krümmt und was ein sehr schmerzhafter Vorgang ist, strecken muss, weil mich dies entlastet. Mein Immunsystem bietet sehr grosse Angriffsflächen, deshalb ist Hygiene und Sauberkeit in meiner Umgebung das A und O. Die letzte Betreuerin musste ich nach ein paar Tagen entlassen, weil sie sich weigerte die Schuhe in meiner Wohnung auszuziehen.“
Heinrich Gartentor erzählt in seinem Buch auch davon, wie man seinen Bruder entmündigen wollte, weil er selber nicht mehr unterschreiben kann. Jedes kleine Detail des Alltags wird im Leben von Peter zu einer riesigen Herausforderung, die es zu meistern gilt. Aber das kann Peter gut, kämpfen und gewinnen und zum Glück wird er dabei von seinem Bruder unterstützt. Peter ist aber überhaupt nicht einfach frustriert und mürrisch, er schildert beinahe analytisch was ihn hässig macht und was ihn beinahe zum Verzweifeln bringt, er erzählt aber auch davon, dass er seine Krankheit schon noch besiegen wird. Und dass er unterdessen verreist, indem er sich Filme von Inga Lindström oder Rosamunde Pilcher anschaut, „da ist immer schönes Wetter und jemand hat immer schneeweisse Hosen an. Nur die Automarken wechseln mit den Jahren. Am schönsten aber ist immer das Schloss das in jedem Film vorkommt.“

Wir, das Publikum sind an diesem Abend alle ein Stück weiser geworden, auch kleiner und nachdenklich und ich glaube wir alle sind froh, dass wir Peter kennengelernt haben. Rami bereitet den Apéro zu den wir nun draussen in einem gemütlichen Kreis auf kleinen "Stüheli" miteinander geniessen können.







Wir danken Peter, dass er mit Tinu, seinem Brüetsch zusammen bei uns im ZelgAtelier vorbeigekommen ist und wir freuen uns schon jetzt darauf ihm wieder zu begegnen.

Heinrich Gartentor hier


Für die Unterstützung von Kidswest 2018 danken wir:

die Mobiliar hier
Jubiläumsstiftung die Mobiliar hier 
Hansjörg Wyss Foundation hier
Fondation Michèle Berset
Stadt Bern BSS hier 
Kulturförderung Kanton Bern hier
Gesellschaft zu Mittellöwen hier
Warlomont-Anger-Stiftung hier






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen